Unsere Informationsquellen

Die meisten Opfer waren jüdischer Herkunft. Erste Informationsstelle für jüdische Opfer ist der „Blaue Band“ der Stadt Langen von 1983 (genaue Bezeichnung: Heidi Fogel, Eine Stadt zwischen Demokratie und Diktatur – Dokumentation zur Geschichte Langens von 1918 – 1945, erschienen in der Reihe: Beiträge zur Stadtgeschichte, Band 3). Aus Anlass des 100jährigen Jubiläums der Stadterhebung hatte der Magistrat mehrere Geschichtsbände herausgegeben. Der genannte Band versucht die turbulenten Jahre zwischen der „verordneten Demokratie nach 1918“ bis zum Ende der Nazidiktatur aufzuzeigen.

 

Darin befindet sich auch ein „Verzeichnis der jüdischen Einwohner der Gemeinde Langen nach dem Stand vom 01.01.1933“, in dem alle damaligen Bewohner Langens mit Geburtsdatum, letzter Wohnung, Datum der Abmeldung und – soweit bekannt – ihrem weiteren Schicksal nach dem Wegzug erfasst sind. Dieses Verzeichnis basiert auf einer Liste, die von P. Arnsberg erstellt wurde, ergänzt mit Infos aus der „Judenkartei“ vom September 1935, die von der damaligen Stadtverwaltung geführt werden musste, sowie von Meldungen des Bürgermeisters an die Gestapo von 1940.
Ergänzende Informationen entnahmen wir auch der „Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Langen und ihrer Synagoge“. Eine Dokumentation des Magistrats der Stadt Langen aus Anlass des 50. Jahrestages der Zerstörung der Synagoge in der „Reichskristallnacht“ 1938.Außerdem erhielten wir Informationen und Bilder von Frau Kingreen vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main.

Über das weitere Schicksal dieser Menschen, also ob sie überlebt haben oder wann sie wo umgebracht wurden, gibt es gegenüber 1983 einige neue Erkenntnisse. Alle bekannten jüdischen Todesopfer der Nazis wurden in einem Gedenkbuch des Bundesarchivs veröffentlicht. 150 000 Personen aus dem Gebiet des Deutschen Reiches sind hier aufgeführt. Die einzelne Namensnennung umfasst neben den persönlichen Angaben erweiterte Informationen zum Deportationsdatum und Deportationsort, zu weiteren Transporten, zu Todesdatum und zu Todesort.

Von Interesse sind Informationen über die genealogischen Daten der Personen: Wer waren die Eltern, was machten sie beruflich, seit wann lebten sie in Langen. Solche Daten werden seit Jahrhunderten in den Judenmatrikeln gesammelt. Seit 1731 wird ein solches Verzeichnis auch in Langen geführt. Es enthält die Namen aller Juden am Ort mit ihren Geburts- und Sterbedaten. Geschrieben wurden die Judenmatrikel von 1731 bis 1804 vom evangelischen Pfarrer, ab 1804 von der Bürgermeisterei. Die letzten Judenmatrikel wurden hier 1875 erstellt und waren die Grundlage des oben erwähnten Verzeichnisses der Jüdischen Einwohner. Ab 1875 wurden die Juden wie alle anderen in den Standesämtern erfasst. Die Judenmatrikel wurden von der Genealogin Gabriele Klein systematisch erfasst und die Familienzusammenhänge dokumentiert.

Eine unerschöpfliche Quelle ist das Langener Wochenblatt, damals die einzige Zeitung in Langen und bis – zum Machtantritt der Nazis – ein Abbild der gesellschaftlichen Ereignisse. Hier sind insbesondere die Verlobungs-, Heirats- und Todes Anzeigen dokumentiert. Aus Geschäftsanzeigen lässt sich oft eine ganze Firmengeschichte erstellen. Gerda Werner, eine Enkelin des damaligen Herausgebers der Zeitung, hat diese Zeitdokumente gesichtet und systematisch archiviert.

Hatte die Person ein Geschäft – und das gilt für die meisten unserer jüdischen Familien – haben sie auch Geschäftsanzeigen aufgegeben. Die systematische Auswertung von Gerda Werner über viele Jahre ergibt oft eine regelrechte Firmengeschichte.

Woher bekommt man Informationen über den Wechsel der Besitzverhältnisse?
Vom Grundbuchamt? Nur bei berechtigtem Interesse und nicht ohne Gebühren zu bezahlen. Gebührenfrei und öffentlich zugänglich sind aber die Brandversicherungsakten, in denen jeder Versicherungsnehmer aufgeführt ist. Und jeder Hausbesitzer muss versichert sein.

Eine der wichtigsten Quellen sind die Entschädigungsakten. Allerdings steht uns diese Informationsquelle nur bei Personen zur Verfügung, die den Holocaust überlebten und so in der Lage waren, nach dem Krieg die schwierige Prozedur des Entschädigungsverfahrens über sich ergehen zu lassen. Diese Akten geben uns einen detaillierten Einblick in Leben und Besitz vor dem „3. Reich“ und ihren Verlust und die Demütigungen und Verfolgungen in der Zeit der Nazidiktatur.

Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts

Nach dem Sieg der Alliierten über das Dritte Reich konnten die Opfer der Nationalsozialisten, die überlebt hatten, Anträge auf eine Entschädigung stellen. Grundlage war das Haftentschädigungsgesetz von 1949 und das Bundesgesetz zur Entschädigung national-sozialistischer Opfer von 1953. Es wurde eine finanzielle Entschädigung gezahlt. Allerdings war eine Wiedergutmachung nur einem Teil der Opfer vorbehalten:
Entschädigungsberechtigt war, wer aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen verfolgt wurde und Schäden an Leben, Körper, Freiheit, Eigentum erlitten hatte oder beruflich geschädigt wurde. Opfer, die von dieser Entschädigung ganz oder z.T. ausgeschlossen wurden, waren z.B. ausländische Juden, Homosexuelle, Zwangssterilisierte, Zwangsarbeiter, Kommunisten, Sinti und Roma, Angehörige nationaler Widerstandsgruppen sowie polnische und sowjetische Kriegsgefangene.

Die Akten ermöglichen einen Einblick v.a. auf zwei Hauptaspekte:

– zum einen die Verfolgung durch die Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945, denn diese musste möglichst anhand von authentischen Quellen, wie Gerichtsurteilen, Unterlagen zur Haft in Konzentrationslagern o.ä. nachgewiesen werden.
– zum anderen wird der Umgang der Behörden der jungen Bundesrepublik mit der unmittelbaren, eigenen Geschichte sowie mit den Geschädigten deutlich.
Es wird deutlich, dass für die Opfer der Weg zur Entschädigung nicht immer einfach und unbürokratisch war. Unter heutzutage willkürlich und abenteuerlich erscheinenden Begründungen wurden z.T. Ent-schädigungsanträge abgelehnt oder in entwürdigender Weise der Wahrheitsgehalt der Aussagen der Opfer angezweifelt. Die Verfahren der größtenteils älteren Opfer zogen sich meist über Jahre hin und wurden oft erst nach dem Tod der Opfer abgeschlossen.


Die Entschädigungsakten der Langener Opfer befinden sich im Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden, wo Marion Imperatori viel Zeit mit der Auswertung der Akten verbracht hat.

Nicht zu vergessen ist die Auswertung :


der Adressbücher von Kreis Offenbach und Langen von 1900 bis 1939, 


der jüdischen Zeitung „Der Israelit“ ein Zentralorgan für das orthodoxe Judentum, 


des Social Security Death Index, einzusehen im Internet, 


des lutherischen Kirchenbuches


der Kartei der Judaica und 


der Melderegister im Stadtarchiv

Ergänzende Informationen und Dokumente bekommt man von Zeitzeugen. Heute leben nur noch wenige Menschen, die die Nazizeit (als wir 2006 anfingen, lag die über 60 Jahre zurück) erlebt haben. Die, die noch leben, waren damals meistens noch Kinder. Deshalb erhält man heute aus dieser Quelle meist nur Anekdoten oder kindliche Erlebnisberichte. Aber es sind genau solche Erzählungen, die über die formalen Fakten hinausgehen und die Person lebendig erscheinen lassen. Von diesen Zeitzeugen (oder ihren Nachkommen) erhält man manchmal auch Bilder oder andere Erinnerungsstücke an die damals lebenden Personen.

Und zum Glück gibt es Menschen, die dem Urtrieb folgen und sammeln. Z.B. alte Postkarten, alte Fotografien, alte Dokumente. Und wenn der Zufall es will, passen Teile der Sammlung zu unserem Thema. Sammelleidenschaft und Glück sind also ebenfalls Bestandteile unserer Arbeit – und viel, viel Zeit, das alles irgendwie zusammenzubringen.