Rotes Eck
Stätte des politischen Widerstandes
Fahrgasse 10

Haus Rotes Eck 1932

Dieses Haus wurde das „Rote Eck“ genannt, da hier viele stadtbekannte Linke wohnten. Die KPD benutzte die Gebäudefront bis zum Jahr 1932 für ihre Wahlwerbung, denn es lag strategisch sehr günstig an der Haupt-Durchfahrtstraße von Darmstadt nach Frankfurt.

Das Rote Eck war eine Stätte des – illegalen – Widerstands gegen die Nazi-Herrschaft. Flugblätter konnte man, ohne aufzufallen, nur mit den einfachsten Mitteln herstellen, zum Beispiel mit Linoldruck. Diese wurden dann auf dem Dachboden versteckt, denn es fanden öfter Hausdurchsuchungen statt. Die Bewohner arbeiteten immer gut zusammen, damit kein verräterisches Material gefunden wurde.
Im Roten Eck wohnten die Brüder Karl, Heinrich und Fritz Zängerle, denen bei einer Festnahme die Fortführung des – verbotenen – kommunistischen Jugendverbandes vorgeworfen wurde. Sie arbeiteten eng mit Sozialdemokraten im Widerstand zusammen.

Karl Zängerle war von 1973-1978 AWO-Vorsitzender in Langen

Karl Zängerle wurde 1935 mit anderen Kommunisten wegen Verbreitung illegalen Schrifttums gegen die Nazis verhaftet und wegen Hochverrats zu sechs Jahren Zuchthaus bei Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte für 10 Jahre verurteilt.
Nach dem Krieg leitete Karl viele Jahre das Langener Sozialamt. Fritz wurde nach 1945 Betriebsratsvorsitzender bei Opel in Rüsselsheim.

Ludwig Dornburg – „Euthanasie“-Opfer Fahrgasse 10

Der Künstler und Initiator der Stolpersteine Gunther Demnig bei der Verlegung des Steins für Ludwig Dornburg

Auch die Familie Dornburg wohnte im Roten Eck. Ihr Sohn Ludwig war körperbehindert (er hatte eine verkrüppelte Hand) und bekam später epileptische Anfälle. Trotz seiner Behinderung half er seinem Vater bei der Arbeit.
Ludwigs Bruder Franz berichtete, bei einer der häufigen Hausdurchsuchungen im Roten Eck wurde ihr Vater von einem Nazi-Schlägerkommando verprügelt. Ludwig kam seinem Vater zu Hilfe und packte den Arm des Schlägers so fest, dass dieser völlig wehrlos den Gummiknüppel fallen ließ. Deshalb klagte man ihn an. Weil sich sein Gesundheitszustand verschlechterte, wurde er 1938 in die Landesheilanstalt Goddelau gebracht. Er wurde von den Faschisten im Rahmen ihrer Aktion „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ im März 1941 in Hadamar ermordet.

Wohn- und Geschäftshaus
Familie Morgenstern
Vierhäusergasse 1

In diesem Haus lebte die jüdische Familie Morgenstern: die Eltern Cilli und Isaak, die Töchter Hilde Berta und Erna Sophie und bis 1936 Toni Friedmann, die Schwester von Cilli.
Toni Friedmann hatte im Haus ein gut gehendes Schuhgeschäft und war im Alice Frauenverein, einem Ausbildungsverein für Krankenschwestern, sowie im Ausschuss der Volkshilfe tätig. Sie wurde – im Rahmen der ersten Amtshandlungen des Nazi-Bürgermeisters Heinrich Göckel – als Jüdin aus diesem Amt entlassen. Toni gelang es, 1936 nach Brasilien auszuwandern.

Die Morgensterns waren eine gebildete und wohlhabende Familie, sie besaßen ein Auto und hatten ein Telefon, was damals noch selten war. Sie waren Inhaber eines großen und bekannten Warenhauses in Dieburg und hatten zahlreiche Angestellte.
Bald nach der Märzwahl 1933 begannen die Nazis ihren Boykott gegen jüdische Geschäfte. Die Propaganda: „Kauft nicht bei Juden“ und die Einschüchterung und Verfolgung der Kundschaft jüdischer Geschäfte zeigte ihre Wirkung auch beim Kaufhaus Morgenstern. Nachdem Isaak beim Eintreiben von Schulden auch noch übel misshandelt worden war, verließen sie Dieburg und zogen 1934 in ihr Haus nach Langen.

Anzeige zur Eröffnung des Kaufhauses in Langen

Die Eltern achteten sehr auf eine gute Schulbildung ihrer Töchter – diese waren die ersten beiden Mädchen in dem, bis dahin nur von Jungen besuchten, Dieburger Realgymnasium. 

Erna Sophie (Pfeil) inmitten ihres Lehrerkollegiums im Philanthropin

Erna Sophie wurde Mathematik- und Physiklehrerin am Philanthropin in Frankfurt, der größten jüdischen Schule und Lehranstalt für Lehrpersonal Deutschlands. Hilde Berta heiratete einen Arzt in Frankfurt.

Hilde Berta Morgenstern

Während der „Reichskristallnacht“ 1938 war auch die Familie Morgenstern Zielscheibe der gewalttätigen Ausschreitungen gegen die jüdische Bevölkerung. In dieser Nacht drangen die Nazis in alle Wohnungen der noch hier lebenden jüdischen Bewohner ein, verwüsteten sie und demolierten das Mobiliar.
Der Nazi-Schläger Peter Sehring trat hier als Anführer besonders hervor. Näheres ist bei Station 10 (Wallschule) über ihn zu erfahren.

Das weitere Schicksal dieser Familie ist typisch. Man zog in die nächste Großstadt und versuchte, sich in deren Anonymität vor weiterer Verfolgung zu retten.
Im Dezember 1938 verließen die Morgensterns Langen, wo sie fünf Jahre lang gedemütigt worden waren. Bis 1942 lebten sie in Frankfurt, dann deportierten sie die Nazis in das KZ Theresienstadt, wo Isaak 1944 ermordet wurde.
Erna Sophie und ihre Mutter brachten die Nazis in Auschwitz um, nur Hilde Berta konnte sich ‒ nach dem Selbstmord ihres Mannes ‒ in die USA retten.